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Hauptsache beschäftigt

21. April 2023  •  3 Minuten

Sollten wir nicht besser die Windrichtung drehen statt gegen den Wind zu segeln?

Chris Bühler stellte am Netzpolitischen Abend vom 20. April die Frage, ob digitale Souveränität nicht effektiver unterstützt würde, wenn man den Fokus mehr auf die System-Ebene legen würde, statt sich mit technischen Mitteln auf individueller Ebene vor Überwachung zu schützen.

Stimmt: Eine Nacht lang an irgendeinem Privacy Tool herumzuhacken und am nächsten Morgen nicht abstimmen zu gehen verkennt die Situation: Die digitale Welt ist nur scheinbar von der realen abgekoppelt. In Wahrheit ist sie Teil eines Systems, das nach wie vor in der realen Welt geformt wird.

Andererseits halte ich es für gefährlich, zu behaupten, dass individuelles Handeln sich nicht lohne und nur systemische Veränderungen uns weiterbringen. Es lässt sich zu leicht als Ausrede missbrauchen, dass es keinen Unterschied mache, was im persönlichen Rahmen für Entscheidungen getroffen werden.

Die Politikerinnen sollen endlich mal machen - bis dahin nutze ich weiterhin Gmail und Whatsapp!

Der Leiter der Leipziger Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik Felix Ekardt hat genau diesem Thema einen Gastbeitrag bei der Zeit gewidmet:

Politiker und Konzerne werden von uns durch unsere Wahl- und Kaufentscheidungen gewählt und im Amt gehalten. Natürlich müssen die fossilen Investitionen ein Ende finden. Das fällt aber nicht vom Himmel – dafür muss man politisch um Mehrheiten kämpfen und auch selbst im täglichen Konsum postfossil werden. Die Debatte, ob der Klimaschutz an den Verbrauchern, an bösen Konzernen oder am fehlenden Willen der Politiker scheitert, wirkt deshalb wie ein Henne-Ei-Problem. Was Politik, Unternehmen, Wählende und Verbrauchende tun, hängt wie in Teufelskreisen voneinander ab.

Deshalb wirkt die Klimasünderjagd fürs Klima sogar direkt kontraproduktiv, weil sie uns alle in der vermeintlichen Sicherheit wiegt, es seien irgendwie andere, die etwas tun müssten, wir selbst höchstens ein kleines bisschen. […] Ohne den politischen Druck von uns allen und unsere besseren Kaufentscheidungen kommt der nötige Wandel aber nicht in Gang. […]

Hier hilft es auch nichts, wenn selbst Klimaschützerinnen und -schützer gern predigen, es gehe nicht um individuelle Entscheidungen, sondern um strukturelle Änderungen. Weil es eben nicht den einen Hauptakteur des sozialen Wandels gibt, sind Kapitalismus oder Macht keine abstrakten Kategorien jenseits der Individuen. Strukturelle Veränderungen kommen auch nur, wenn viele sie politisch einfordern und persönlich anders zu leben beginnen – denn sonst ergeben sich keine Mehrheiten für eine andere Politik.

Individuelle und kollektive Ebene sind eng miteinander verbunden. Die eine bedingt die andere und umgekehrt. Sie gegeneinander auszuspielen bringt uns nicht weiter.

Ich vermute, Chris Bühler ist sich dessen sehr wohl bewusst. In der Ankündigung des Vortrags heisst es zwar, dass die aktuelle Praxis der digitalen Selbstverteidigung sei «ein Rückfall ins Frühmittelalter» und «schädlich für die Entwicklung eines freien, demokratischen Internets». Im Verlaufe des Vortrags wird aber klar, dass er es durchaus unterstützt, sich auch auf der individuellen Ebene einzusetzen.

Ich denke, sein Denkanstoss war: Wer nicht über die Resourcen verfügt, gleichzeitig individuelle und systemische Massnahmen vorwärtszutreiben, der sollte sich auf die systemischen konzentrieren.

Und - huere Siech! - abstimmen gehen!

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